Am 08. Mai 2018 fand in der Bremischen Bürgerschaft eine Podiumsdiskussion zum Thema „Gewaltorientierter Extremismus: Welche Rolle spielt die Ideologie?“ statt. Veranstalter war das Landesamt für Verfassungsschutz Bremen.
Eröffnet wurde die Veranstaltung durch den Bremischen Innensenator Ulrich Mäurer. Der Senator hob in seiner Rede hervor die Herausforderungen für das Garantieren der Öffentlichen Sicherheit hervor. Ein streng religiöses Verhalten sei allein kein Anzeichen für eine Radikalisierung. Vielmehr stellte man im Bereich des Jihadismus in der letzten Zeit fest, dass die Personen oft entgegen der Ideologie lebten und beispielsweise Alkohol konsumierten oder mit Drogen handelten. Trotzdem handelte es sich bei diesen Personen um eindeutige IS-Sympathisanten. Aus diesem Grund dürfen diese Verhaltensweisen im Rahmen einer Gerichtsverhandlung nicht strafmildernd wirken.
Den ersten Impulsvortrag hielt Prof. Uwe Backes, Politikwissenschaftler an der Technischen Universität Dresden. Dabei wies er darauf hin, dass die Rolle der Ideologie manchmal über- manchmal aber auch unterschätzt werde. Zur Unterschätzung kann die „Soziologisierung“ der Gewalt beitragen, womit die Ansicht gemeint ist, es seien immer nur soziale Gründe, die Menschen in den Extremismus treiben. Darüber hinaus tragen unter anderem die Spontaneität vieler Gewalttaten und der Einfluss von Alkohol/Drogen, sowie das Fehlen von „Tatbekennungen“ zur Unterschätzung bei. Dass Ideologien weiter wirksam sind, zeigt sich in der ideologisch begründeten Wahl der Opfer und Angriffsziele, der Rolle ideologischer Rechtfertigungen bei der Gewaltlegitimierung, der Rolle von Ideologen im Personenpotenzial gewaltaffiner Gruppen, sowie der identitätsstiftenden Bedeutung von Diskussionsforen, Theoriezirkeln, Zeitschriften und Online-Plattformen.
Herr Ritzmann vom Brandenburgischen Institut für Sicherheit und Gesellschaft bestimmte die Funktionen extremistischer Ideologien. Sie dienen der Bestimmung und Motivation der eigenen Gruppe und Abgrenzung und Legitimation von Gewalt gegenüber allen, die nicht dazu gehören. Sie dient zudem als Mittel zur Selbsthilfe, zur Aufwertung des eigenen Lebens. Die gewählte Ideologie bietet die gewünschte Identität und ist das verbindende Element von Extremisten mit sehr verschiedenen Biografien. Die oft bemühte „Gehirnwäsche“ durch Extremisten mag es im Einzelfall geben. Häufiger jedoch sind Radikalisierungsprozesse ein wechselseitiger Prozess von demjenigen, der radikalisiert und dem anderen, der sich radikalisieren lässt. Zu den Handlungsempfehlungen gehörten Alternative Narrative zu extremistischen Ideologien und Angebote von glaubwürdigen, lokalen Akteuren. Diese erhöhen die Widerstandsfähigkeit gegenüber extremistischer Propaganda und Rekrutierung. Insbesondere bei für bestimmte Zielgruppen hoch emotionalen Themen geht es darum, diese aufzugreifen und frühzeitig konkrete alternative Handlungsmöglichkeiten aufzuzeigen.
Herr Taubert leitet die Beratungsstelle LEGATO in Hamburg, welche systemische Ausstiegsberatung im Themenfeld Islamismus anbietet. Überwiegend melden sich dort Angehörige von jungen Menschen, die unter Verdacht stehen, sich zu radikalisieren. Ihre Not sei oft sehr groß. Sie fürchten zum Beispiel, dass ihre Kinder nach Syrien ausreisen könnten. Die Erfahrung der Beratungsstelle ist, dass sie oft einen viel größeren Leidensdruck haben als die Angehörigen von Rechtsextremen. Seit 2015 hat LEGATO in etwa 320 Fällen beraten. Schwierig sei oft die Abgrenzung zwischen Glaube und Ideologie. Angehörige von Konvertiten melden sich früher, weil ihnen schon die bloße Hinwendung zu Religion Angst macht. Dabei leiste jede Gleichsetzung von Religion und Ideologie der Prävention einen Bärendienst. Deradikalisierung bedeutet nicht, dass junge Menschen wieder vom Glauben abfallen. Es geht darum extremistische Handlungsweisen aufzugeben und das soziale Umfeld wieder zu stabilisieren.
An der anschließenden Podiumsdiskussion, die von dem Islamwissenschaftler Hazim Fouad moderiert wurde, nahm auch der Leiter des Landesamtes für Verfassungsschutz Dierk Schittkowski teil. Er wies auf die Notwendigkeit der Verzahnung von wissenschaftlichen Erkenntnissen und der Erfahrung der praktischen Arbeit hin und lobte den fruchtbaren Austausch zwischen Behörden und zivilgesellschaftlichen Trägern in diesem Themenfeld. Die hohe Besucherzahl von ca. 100 Personen verdeutlichte das Interesse der Bremischen Öffentlichkeit an den diskutierten Themen.